Chamfort, Nicolas-Sebastien

Achtung ist mehr als Beachtung, Ansehen mehr als Ruf. Ehre mehr als Ruhm.

An zwei Dinge muss man sich gewöhnen, um das Leben erträglich zu finden, die Unbilden der Zeit und die Ungerechtigkeiten der Menschen.

Charakterschwäche und geistige Leere, mit einem Wort alles, was uns hindert, mit uns selbst allein zu sein, bewahrt viele Menschen vor dem Menschenhass.

Das Elend des Menschen liegt darin, dass er in der Gesellschaft Trost suchen muss gegen die Leiden, die die Natur ihm zufügt, und in der Natur Trost gegen die Leiden der Gesellschaft. Wie viele haben weder hier noch dort eine Erleichterung ihrer Schmerzen gefunden!

Das Glück gleicht oft den reichen, verschwenderischen Frauen, welche die Häuser ruinieren, denen sie eine große Mitgift zugebracht haben.

Das Glück ist keine leichte Sache: es ist sehr schwer, es in uns, und unmöglich, es anderswo zu finden.

Das Glück und der Aufwand, den es mit sich bringt, macht aus dem Leben eine Schaustellung, inmitten deren der ehrlichste Mensch auf die Dauer zum Komödianten werden muss.

Das Publikum glaubt nicht an die Reinheit bestimmter Gesinnungen und Gefühle und kann sich im allgemeinen nur zu niedrigen Ideen erheben.

Das Vergnügen kann auf der Illusion beruhen, doch das Glück beruht allein auf der Wahrheit.

Der Dummkopf beschäftigt sich mit der Vergangenheit, der Narr mit der Zukunft, der Weise aber mit der Gegenwart.

Der verlorenste aller Tage ist der, an dem man nicht gelacht hat.

Die Dummheit wäre nicht Dummheit, wenn sie den Geist nicht fürchtete.

Die Ehe kommt nach der Liebe, wie der Rauch nach der Flamme.

Die Einbildungskraft, die Illusionen hervorbringt, ist wie ein Rosenstrauch, der in jeder Jahreszeit Rosen blühen lässt.

Die Gesellschaft, das, was man die Welt nennt, ist nur der Kampf tausend entgegengesetzter Interessen, ein ewiges Ringen sich kreuzender, einander störender, abwechselnd verletzter und gedemütigter Eitelkeiten, die für den Triumph des einen Tages am nächsten in der Ernüchterung der Niederlage büßen müssen. Einsam leben, nicht zerrieben werden in diesen jammervollen Zusammenstößen, in denen man einen Augenblick die Blicke der Welt auf sich zieht, um im nächsten unterzugehen, das nennt man nichts sein, keine Existenz haben. Arme Menschheit! Die Gesellschaft setzt sich aus nur zwei großen Klassen zusammen: die einen haben mehr Mahlzeiten als Appetit, die anderen weit mehr Appetit als Mahlzeiten.

Die Kunst der Parenthese ist eins der großen Geheimnisse der Beredsamkeit in der Gesellschaft.

Die Meinung ist die Königin der Welt, weil die Dummheit die Königin der Schwachköpfe ist.

Die Natur hat mir nicht gesagt: Sei nicht arm! Noch weniger: Sei reich! Aber sie ruft mir zu: Sei unabhängig!

Die Öffentlichkeit! Wie vieler Narren bedarf es, um eine Öffentlichkeit zu ergeben?

Die schlimmste aller Mesalliancen ist die der Herzen.

Die Unsicherheit ist für die Seele, was die Folter für den Körper ist.

Die Welt verhärtet das Herz der meisten Menschen. Wer nicht hart werden kann, muss sich eine Art künstlicher Fühllosigkeit angewöhnen, um weder von den Männern noch von den Weibern zum Narren gehalten zu werden. Einen ehrlichen Menschen überkommt nach einigen Tagen in der Gesellschaft ein peinliches und trauriges Gefühl. Nur einen Vorteil hat er davon, er liebt dann die Einsamkeit um so mehr.

Durch die Leidenschaften lebt der Mensch, durch die Vernunft existiert er bloß.

Ehrgeiz fängt die kleinen Seelen leichter als die großen, wie Stroh und Hütten leichter Feuer fangen als Paläste.

Ein geistreicher Mann ist nur etwas wert, wenn er Charakter hat.

Ein geistreicher Mann ist verloren, wenn er nicht auch ein Mann von energischem Charakter ist. Hat man die Laterne des Diogenes, so muss
man auch des Diogenes Stock haben.

Es gibt Zeiten, wo die öffentliche Meinung die schlechteste aller Meinungen ist.

Ein Mensch ohne Prinzipien ist gewöhnlich auch ein Mensch ohne Charakter. Denn wäre er mit Charakter auf die Welt gekommen, so hätte
er das Bedürfnis nach Prinzipien empfunden.

Eitel heißt: nichtig; so ist die Eitelkeit so elend, dass man ihr nichts Schlimmeres nachsagen kann als ihren Namen. Sie gibt sich selbst als das, was sie ist.

Es bedarf oft des Anlasses der Eitelkeit, damit der Mensch die ganze Energie seiner Seele zeigt. Holz zum spitzen Stahl ergibt den Wurfspieß,
zwei Federn am Holz den Pfeil.

Es gibt eine Klugheit, überlegen der, die man gewöhnlich so nennt: es ist die Klugheit des Adlers, zum Unterschied von der Maulwurfsklugheit. Erstere besteht darin, kühn seinen Charakter zu folgen und allen Nachteil und Schaden hinzunehmen, der aus ihm entspringt.

Falsche Bescheidenheit ist die schicklichste aller Lügen.

Folgende Gegensätze sollte man vereinen können:
Tugend mit Gleichgültigkeit gegen die öffentliche Meinung,
Arbeitsfreude mit Gleichgültigkeit gegen den Ruhm und die Sorge um die
Gesundheit mit Gleichgültigkeit gegen das Leben.

Für Geheimnis und anvertrautes Gut gelten die gleichen Regeln.

Gewisse Dinge lassen sich leichter legalisieren als legitimieren.

Ich sah, wie man in der Welt ohne Unterlass die Achtung vorzüglicher Menschen der Beachtung, die Ruhe dem Ruhm opferte.

In den großen Dingen zeigen sich die Menschen, wie es ihnen zukommt, sich zu zeigen; in den kleinen zeigen sie sich wie sie sind.

Jeder, der lange in der Gesellschaft leben kann, beweist mir nur, dass er nicht besonders feinfühlig ist. Nichts, was dort das Herz erwärmen
könnte, nichts, das es nicht verhärtete, und wäre es auch nur der Anblick der Fühllosigkeit, Leere und Eitelkeit, die dort herrschen.

Lebenskunst ist die Kunst des richtigen Weglassens.

Lernt man die Leiden der Natur kennen, so verachtet man den Tod, lernt man die Leiden der Gesellschaft kennen, so verachtet man das Leben.

Man beherrscht die Menschen mit dem Kopf. Man kann nicht mit dem Herzen Schach spielen.

Man ist in der Einsamkeit glücklicher als in der Welt. Kommt es nicht daher, dass man in der Einsamkeit an die Dinge denkt, in der Gesellschaft aber an die Menschen denken muss?

Man kann unmöglich in der Welt leben, ohne von Zeit zu Zeit Komödie zu spielen.

Man kann wetten, dass jede öffentliche Meinung, jede allgemeine Konvention eine Dummheit ist, denn sie hat der großen Menge gefallen.

Man muss zugeben, dass es unmöglich ist, in der Welt zu leben, ohne von Zeit zu Zeit Komödie zu spielen. Es nur im Notfall zu tun und um der
Gefahr zu entgehen, unterscheidet den Mann von Rang vom Spitzbuben, der den Gelegenheiten zuvorkommt.

Man muss zugeben: Um glücklich in der Welt zu leben, muss man gewisse Seiten seines Seelenlebens völlig ausschalten können.

Man zerstört seinen eigenen Charakter, aus Furcht, die Blicke und die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich zu ziehen, und man stürzt sich in
das Nichts der Belanglosigkeit, um der Gefahr zu entgehen, besondere Kennzeichen zu haben.

Manche anspruchsvolle Überlegenheit wird zunichte, wenn man sie nicht anerkennt, manche schon wirkungslos, wenn man sie nicht bemerkt.

Menschen, die man nur halb kennt, kennt man überhaupt nicht. Dinge, die man nur zu drei Vierteln versteht, versteht man gar nicht. Diese beiden Überlegungen genügen zur Würdigung aller Gesellschaftsgespräche.

Niemand hat mehr Feinde in der Welt als ein aufrechter, stolzer, gefühlvoller Mann, der Personen und Dinge nimmt, wie sie sind und nicht wie sie sein wollen.

Ruhm ist der Vorzug, denen bekannt zu sein, die einen nicht kennen.

Ruhm stellt oft einen Mann von Rang auf dieselbe Probe wie das Geld, das heißt, beide zwingen ihn, ehe sie ihn zu sich herankommen lassen, Dinge zu tun oder zu leiden, die mit der Menschenwürde unvereinbar sind. Ein unerschrockener Mann, der den Mut zu seinem Charakter hat, stößt beide Gleicherweise zurück und hüllt sich in Verborgenheit oder in Elend und manchmal in beide.

Starrsinn vertritt den Charakter – so ungefähr wie Temperament die Liebe.

Takt ist der auf das Benehmen angewandte gute Geschmack.

Vielleicht muss man die Liebe gefühlt haben, um die Freundschaft richtig zu erkennen.

Von niemanden abhängen, der Mann seines Herzens, seiner Grundsätze, seiner Gefühle sein: nichts habe ich seltener gesehen.

Wäre die Gesellschaft nicht ein künstliches Machwerk, so würde die Äußerung jedes einfachen und wahren Gefühls nicht die große Wirkung haben, die sie hat. Sie würde gefallen, ohne in Erstaunen zu setzen. Aber sie setzt in Erstaunen und gefällt. Unsere Verwunderung ist eine Satire auf die Gesellschaft, unser Wohlgefallen huldigt der Natur.

Wenn Diogenes heutzutage lebte, müsste seine Laterne eine Blendlaterne sein.

Wer keinen Charakter hat, ist kein Mensch, sondern eine Sache.

Wer kein Marktschreier sein will, muss dem Podium fernbleiben. Steigt man hinauf, so muss man es sein, um nicht von der Versammlung mit Steinen beworfen zu werden.

Wir sollen nicht nur mit denen Leben, die uns richtig einschätzen können: solche Eigenliebe wäre zu empfindlich und zu schwer zu befriedigen. Aber unser eigentliches Leben sollen wir nur mit denen teilen, die wissen, wer wir sind. Auch der Philosoph kann nichts gegen diese Art Eigenliebe sagen.

 


Nicolas Chamfort, geboren als Sébastien-Roch Nicolas (* 6. April 1741 in Clermont, Auvergne; † 13. April 1794 in Paris) war ein französischer Schriftsteller in der Zeit der Aufklärung und der Französischen Revolution. Quelle einschl. Bild: wikipedia.org