Christian Morgenstern

Alle Erziehung, ja alle geistige Beeinflussung beruht vornehmlich auf Bestärken und Schwächen. Man kann niemanden zu etwas bringen, der nicht schon dunkel auf dem Wege dahin ist, und niemanden von etwas abbringen, der nicht schon geneigt ist, sich ihm zu entfremden.

Beim Menschen ist kein Ding unmöglich, im Schlimmen wie im Guten.

Besuche machen immer Freude – wenn nicht beim Kommen, so dich beim Gehen.

Da sie nur Lehrer für 600 Mark sich leisten können, bleiben die Völker so dumm, dss sie sich Kriege für 60 Milliarden leisten müssen.

Das ist meine allerschlimmste Erfahrung: Der Schmerz macht die meisten Menschen nicht groß, sondern klein.

Das Leben ist die Suche des Nichts nach dem Etwas.

Das von selbst Verständliche wird gemeinhin am gründlichsten vergessen und am seltensten getan.

Den Charakter eines Menschen erkennt man an den Scherzen, die er übel nimmt.

Den seelischen Wert einer Frau erkennst du daran, wie sie zu altern versteht.

Der Duft der Dinge ist die Sehnsucht, die sie uns nach sich erwecken. Der Mensch – ein Exempel der beispiellosen Geduld der Natur.

Der Mensch rennt an die Mauer an, aber der Geist geht durch die Mauer hindurch.

Der moderne Mensch „läuft“ zu leicht“ heiß“. Ihm fehlt zu sehr das Öl der Liebe.

Der Welt Schlüssel heißt Demut. Ohne ihn ist alles Klopfen, Horchen, Spähen umsonst.

Die Weltanschauungen mancher Menschen gleichen lächelnden Festungen.

Die zur Wahrheit wandern, wandern allein.

Ein wirklich eigener Gedanke ist immer noch so selten wie ein Goldstück im Rinnstein.

Einander kennen lernen heißt lernen, wie fremd man einander ist.

Eine der größten Unverfrorenheiten des Menschen ist, dies oder jenes Tier im Emphase falsch zu nennen, als ob es ein noch falscheres Wesen gäbe in seinem Verhältnis zu den anderen Wesen als der Mensch.

Es gibt kaum eine größere Enttäuschung, als wenn Du mit einer recht großen Freude im Herzen zu gleichgültigen Menschen kommst.

Es gibt Menschen, die sich immer angegriffen wähnen, wenn jemand eine Meinung ausspricht.

Es gibt nur einen Fortschritt, nämlich den in der Liebe.

Es ist merkwürdig, dass ein mittelmäßiger Mensch oft vollkommen recht haben kann und doch nichts damit durchsetzt.

Es ist schmerzlich, einem Menschen seine Grenzen anzusehen.

Für mich gibt es nur ein Mittel, um die Achtung vor mir selbst nicht einzubüßen: fortwährende Kritik.

Geben und Nehmen, ein Gesetz aller Entwicklung.

Ihr karrt in ewig gleicher Spur und narrt euch vor, dies sei Kultur.

Jeder Mensch ist ein neuer Versuch der Natur, über sich ins Reine zu kommen.

Lachen und Lächeln sind Tor und Pforte, durch die viel Gutes in den Menschen hinein huschen kann.

Leben ist die Suche des Nichts nach dem Etwas.

Manche Menschen treiben leicht ab. Unversehens sind sie anderswo, als wo man sie haben will, als wo sie sich selbst haben wollen.

Nicht da ist man daheim, wo man seinen Wohnsitz hat, sondern wo man verstanden wird.

Nur wer den Menschen liebt, wird ihn verstehen. Wer ihn verachtet, ihn nicht einmal sehen.

Schön ist eigentliches alles, was man mit Liebe betrachtet.

Vorsicht und Misstrauen sind gute Dinge, nur sind auch ihnen gegenüber Vorsicht und Misstrauen nötig.

Was hilft dir alles Gefühl, wenn dir nicht ein klarer geweckter Verstand weite Ausblicke eröffnet, wenn du nicht an seiner Hand in Tiefen gelangst, die dir sonst ewig verschlossen geblieben wären? Nein, Gefühl und Verstand gehören aufs engste zusammen. Aber das Gefühl ist das Größere von ihnen.

Was ist das erste, wenn Herr und Frau Müller in den Himmel kommen? Sie bitten um Ansichtskarten.

Wer die Welt zu sehr liebt, kommt nicht dazu, über sie nachzudenken; wer sie zu wenig liebt, kann nicht gründlich genug über sie denken.

Wer sich selbst treu bleiben will, kann nicht immer anderen treu bleiben.

Wer vom Ziel nicht weiß, kann den Weg nicht haben.

Wie kann ich glücklich sein, wenn du nicht glücklich bist, du Welt voll Harm und Pein.

Zeige mir wie Du baust und ich sage dir, wer Du bist.

Zum Menschen fühl ich unverbesserlich mich hingezogen; belogen und betrogen oft – was tut‘s? Denn was ich liebe, steht über dem, was einer ist.


Christian Otto Josef Wolfgang Morgenstern (1871 – 1914) war ein deutscher Dichter, Schriftsteller und Übersetzer. Besondere Bekanntheit erreichte seine komische Lyrik, die jedoch nur einen Teil seines Werkes ausmacht.